Ueber Weihnachtsbescheerungen

Offener Brief an eine Dame.
Von T. Sz. (Telesfor Szafranski)
in: „Lübecker Eisenbahnzeitung” vom 22.11.1891


Gnädige Frau!

Nach wochenlangem Harren erhalte ich endlich ein vielseitiges Schreiben, aus dem ich mit aufrichtiger Freude ersehe, daß Sie mir meine letzte briefliche „Offenheit” nicht übel genommen haben. Sie überlassen es ferner der sicheren Funktion meiner Hemmungs-Centren, unsern Briefwechsel auf diesem nun doch nicht mehr ungewöhnlichen Wege weiter zu führen — und versprechen sich davon manches Gute; daß Sie dadurch eine Einschränkung explosiver Gefühlsäußerungen — so glaube ich, sagten Sie — bedingt hoffen, darüber gehe ich rasch hinweg, um einem gewaltsamen Erröthen meinerseits vorzubeugen, daß Sie aber der Briefe Kern dem Ausschlusse der Oeffentlichkeit entziehen wollen, danke ich Ihnen mit dem verschämten Lächeln geschmeichelter Eitelkeit.

Ihr gutes herz, meine Gnädige, plaudert aus jeder Zeile. Mein schmerzhaftes Bedauern erregt es nur, daß Sie sich durch dasselbe zu allerhand kleinen Thorheiten verleiten lassen, die im Reagenzglase scharflaugiger Kritik auf Logik nicht reagieren. Erinnern Sie sich, vor zwei Jahren, als Sie mich zum ersten Male mit einer Weihnachtsgabe beglückten? Da hatte mir das Christkind durch Ihre zarten Händchen eine bezaubernd schöne Schreibmappe aufgebaut, — oder eingewickelt, denn der Buchbinder hatte die Stickerei so spät erhalten, daß er sie ihrer Bestimmung nicht entgegenzuführen vermochte. Dieselbe liegt heute noch eingewickelt: ein Opfer verfehlten Berufs. Dieses Schicksal meiner Schreibmappe theilten, soweit es sich aus einer von mir angestelleten Enquete feststellen ließ, sämmtliche Arbeiten, mit denen Sie Ihren engeren Bekanntenkreis behäkelt und bestrickt. Wir waren natürlich entzückt, daß Sie überhaupt an uns gedacht, und die malitiöse Bemerkung Ihres Herrn Vetters, der da meinte, daß seine Schlafrolle augenscheinlich nur für Halbschlaf berechnet sei, fand unseren Beifall nicht: — aber, aber . . . .

Sehen Sie, meine Gnädige, die anderthalb Dutzend Fausthandschuhe, aus ultramarinblauer Zephir-Wolle, welche Sie, wie ich anerkenne, in der rasend kurzen Zeit von 2 Wochen fertiggestrickt und dem diesjährigen Weihnachts-Bazar zur Verfügung gestellt haben, geben zu denken. Ich müßte mich sehr irren, wenn Sie die Dinger in jedem Strumpfwarenmagazin nicht für den Preis der verstrickten Wolle allein hätten mühelos erstehen können. Wenn das aber zutrifft, so haben Sie nicht nur ohne wirthschaftlichen Profit gearbeitet, sondern auch den Glanz Ihrer schönen Augen und deren Sehkraft durch die gräßlich intensive Farbe beeinträchtigt; daß es dem Schulbuben ziemlich gleichgültig ist, ob die Handschuhe von Ihnen gefertigt sind, oder aber der Strickmaschine ihr Dasein verdanken, müssen Sie schon der oberflächlichen Gemüthsart solcher Burschen zu gute halten. Sie haben jedenfalls eine Anzahl Weihnachtsarbeitstage verloren, die zur Fertigstellung dessen hätten dienen können, was Sie nicht käuflich erwerben wollen.

Wenn ich die Möglichkeit der Unterschiebung egoistischer Motive hier gänzlich außer Betracht stelle, so geschieht das in der ruhigen Ueberzeugung, daß Sie mein Herz schon zu lange kennen, um in derselben so schwarze Regungen zu vermuthen.

Ich fahre fort, — selbst auf die Gefahr hin, weitere fahrlässige Unarten zu begehen. Die Frau Geheimräthin veranstaltet, wie ich aus Ihrem Briefe ersehe, auch in diesem Jahre ihre berühmte Weihnachtsbescheerung für arme Kinder. Daß Sie, gnädige Frau, sich so aktiv als möglich dabei betheiligen, liegt in Ihrer gottgefälligen Natur. Aber glauben Sie wirklich, daß derartige öffentliche Bescheerungen in allen Stücken Ihrem Wohlthätigkeitssinne entsprechen? Hand aufs Herz. Beobachten Sie nur einmal, bitte, die Gesichter der Kleinen, und besonders die der Mütter, welche es sich selten nehmen lassen, der Feier beizuwohnen. Nur in den seltensten Fällen bemerken Sie ein wirklich freudiges Aufleuchten in dem scheuen Blicke der Kinder, und in seltenen Fällen ist die Thräne echt, welche die Mütter dort fallen lassen — weil's gut aussieht. Viele „arme” Familien, welche hier bescheert werden, sind nicht bedürftig im vollen Sinne des Wortes, denn sie sind nicht die bedürftigsten. Hier wie überall ist Protektion im Spiele. Haben Sie beispielsweise nicht im vorigen Jahre eine Ihrer Wäscherinnen zur Bescheerung empfohlen — eine gigantische Frau, die mit ihren unheimlichen Fäusten täglich mehr verdient, als die kranke Blumenmacherin im vierten Stock in der ganzen Woche? — — — Es ist notorisch, daß das wirkliche Elend nur selten mit einem thränentriefenden ecce me miserum! an die öffentliche Wohlthätigkeit tritt, sondern zumeist erst von dieser entdeckt wird. Was da bei Gelegenheit öffentlicher Weihnachtsbescheerungen die im Lichtglanz erstrahlenden Christbäume umsteht, macht zumeist keinen guten Eindruck und — empfängt auch nicht den Eindruck, den der feierliche Akt erzielen soll. Die Lieder, welche vorher gesungen, die Reden, welche geredet werden, sind den zu Bescheerenden oft so unliebsame Störungen, wie etwa rhetorische Tanzunterbrechungen bei festlichen Anlässen für die tanzlustige Jugend. Während der Ansprache schauen die Kleinen schüchtern, verlegen und geblendet vor sich hin und verzehren bereits in Gedanken einen rothwangigen Apfel, der ihnen von einem Teller entgegenlacht, Die Mütter prüfen indessen die aufgebauten Geschenke und nicht selten bemerkt man einen neidischen oder unzufriedenen Zug, wenn ein anderes Kind besser bedacht scheint, als das ihrige. Was Sie für öffentliche Zwecke spenden wollen, das legen Sie vertrauensvoll in die Hände der berufenen Armenpflege, welche die Bedürftigkeit ihrer Klienten und jene Stellen, wo der Schuh drückt, besser kontrolliren kann, als Sie und die Frau Geheimräthin. Oeffentliche pomphafte Akte der Privat-Wohlthätigkeit haben immer etwas Eitelkeit als treibendes Motiv, und daher achten Sie, meine Gnädige, stets darauf, daß Ihr linkes Händchen nicht sieht, was das rechte thut und — wie es in freundschaftlicher Verehrung an die Lippen gedrückt wird von

Ihrem sehr ergebenen

T. Sz.

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